REV 13.03.2012

Gregor Langfeld: Deutsche Kunst in New York

Rezensiert von Anja Tiedemann, Jork
Redaktion: Hans Georg Hiller von Gaertringen
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Das Ölgemälde „Um den Fisch" von Paul Klee auf dem Einband von Gregor Langfelds Dissertation „Deutsche Kunst in New York. Vermittler – Kunstsammler – Ausstellungsmacher. 1904–1957" ist klug gewählt. Es gehört zu jenen Werken, die 1937 als „entartete Kunst“ in deutschen Museen beschlagnahmt wurden.[1] Von Anfang 1939 an fanden solche Arbeiten ihren Weg nach New York. So auch Klees Bild, das im Sommer 1939 während der richtungweisenden Ausstellung „Art in Our Time" gezeigt und später vom Museum of Modern Art angekauft wurde.[2] Daher kann dieses Gemälde stellvertretend für jene deutsche Kunst stehen, die aufgrund politischer und ideologischer Entwicklungen Aufnahme in den Kanon der amerikanischen Kunstwelt fand. Eine Erfolgsgeschichte mit bitterem Beigeschmack also, der auf den Grund zu gehen Langfeld sich zur Aufgabe gemacht hat.
Ausgehend von den ersten Versuchen, moderne deutsche Kunst in den USA salonfähig zu machen, untersucht der Autor den Etablierungsprozess dieser Kunstrichtung in den 1920er Jahren, indem er mit dem Wirken von Katherine Dreier und Wilhelm R. Valentiner zwei wichtige Protagonisten dieser Entwicklung vorstellt. In der Folge widmet sich seine Forschung der Frage, welche Stellung die deutsche Moderne um 1930 in New York einnimmt, um dann ausführlich auf die Einflüsse des Nationalsozialismus auf die weitere Entwicklung einzugehen. Es kann kaum überraschen, dass dem 1929 eröffneten Museum of Modern Art und seinem ersten Direktor Alfred H. Barr jr. hierbei eine besondere Rolle zukam. Langfeld gelingt es, die unterschiedlichen Standpunkte in der Debatte über den Stellenwert deutscher Gegenwartskunst, aber auch die Art und Weise, wie sich diese im Laufe der Zeit verändert, sichtbar zu machen, indem er Kritiker und Fürsprecher gleichermaßen zu Wort kommen lässt. Er widerlegt die bis dato gängige Auffassung, „dass die deutsche Kunst innerhalb der Rezeption der internationalen Moderne eine marginale Erscheinung gewesen sei. […] Auch wenn es stimmen mag, dass die französische Kunst, ganz allgemein gesprochen, in der Kunstszene die dominierende war, so sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Kunst im Vergleich zur Kunst anderer Länder in New York äußerst präsent war.“[3] Dennoch vermochte sie sich nicht durchzusetzen bis kunst- und kulturpolitische Ereignisse die Geschmacksbildung maßgeblich beeinflussten.
Aufgrund der radikalen Verfemung in ihrem Ursprungsland galten Werke der deutschen Moderne am Ende der 1930er Jahre generell als antifaschistisch und wurden als „Kunst der Demokratie“ gefeiert. Diese Politisierung der Kunst fand ihren vorläufigen Höhepunkt, als US-Präsident Franklin D. Roosevelt anlässlich der Eröffnung des neuen Gebäudes des Museum of Modern Art am 10. Mai 1939 im Radio eine Rede hielt. „Die Ansprache war“, so Langfeld, „eine Art Grundsatzrede über große amerikanische Werte und speziell ein Plädoyer für künstlerische Freiheit. Er sprach seine Überzeugung aus, dass Kunst nur in einer Atmosphäre von Freiheit und Frieden gedeihen könne.“[4] In seinem deutlich gegen Hitler-Deutschland gerichteten Appell ging Roosevelt so weit, „das MoMA als integralen Bestandteil des demokratischen Systems“ zu bezeichnen.[5] Der Präsident wandte sich damit in aller Entschiedenheit gegen die Verfemung moderner Kunst, die das NS-Regime so radikal verfolgte, und schloss sich damit der einhelligen Empörung seiner Landsleute an.
Zu diesem Zeitpunkt waren bereits die ersten Werke auf dem amerikanischen Kunstmarkt aufgetaucht, die als „entartet“ in deutschen Museen konfisziert worden waren. Sie gelangten über den Berliner Buch- und Kunsthändler Karl Buchholz nach New York, wo sie dessen dortiger Geschäftspartner Curt Valentin anbot. Ihre Präsenz auf dem New Yorker Kunstmarkt markierte schließlich den Wendepunkt in der öffentlichen Meinung. Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Kunstpolitik spielten somit eine entscheidende Rolle für die Akzeptanz der deutschen Moderne. „Die Anerkennung der von den Nazis verfemten Kunst war“, so Langfelds These, „ideologisch begründet […]. Indem Rezipienten sich mit dieser Kunst identifizierten, öffneten sie sich einer Ästhetik, die nicht den geltenden Schönheitsvorschriften entsprach. Das änderte nichts daran, dass Konservative weiterhin gegen moderne Kunst opponierten. Sie konnten sich jedoch nicht auf Dauer gegen maßgebliche und kompetente Museumsleute durchsetzen.“[6]
Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg im Dezember 1941 kam es zu einem neuerlichen Rückschlag. Deutschland war nunmehr nicht nur der ideologische Feind, sondern Kriegsgegner der USA. Als Folge wurde alles Deutsche von der amerikanischen Öffentlichkeit strikt abgelehnt – das galt auch für die Kunst. Diese Haltung wurde erst in den 1950er Jahren vollständig überwunden. Auch dieser Entwicklung nimmt sich der Autor in seiner überzeugenden Studie an. Die einzige echte Schwäche der Arbeit besteht darin, dass sie die Rolle des Kunsthandels und seiner wichtigsten Protagonisten, J. B. Neumann, Karl Nierendorf und insbesondere Curt Valentin, nicht mit einbezieht. Diese unermüdlichen Verfechter der deutschen Moderne hatten ihrem Beruf gemäß kaufwillige private und institutionelle Sammler finden müssen. Die von ihnen geleistete Überzeugungsarbeit war ein wichtiger Faktor, da sie die Hauptakteure im Museumsleben, aber auch die privaten Sammler nachdrücklich und bleibend beeinflussten. Hätte dieser Aspekt zusätzlich Eingang in Langfelds Untersuchung gefunden, dann wäre auch die tragende Rolle der Werke „entarteter“ Kunst aus deutschen Museen in diesem Szenario stärker zum Ausdruck gekommen. Doch hätte eine solche Ausweitung des Forschungsvorhabens wohl den Rahmen der Arbeit gesprengt. Diese ergänzende Facette kann als Aufgabe künftiger Forschung betrachtet werden. Ihr Fehlen mindert jedoch nicht die Aussagekraft der vorgelegten Untersuchung, deren Ergebnisse künftig ein wichtiger Ausgangspunkt für weitere Forschungsvorhaben sein werden, zumal sie innerhalb des definierten Rahmens an Gründlichkeit kaum zu überbieten sind. Der von Langfeld vorgelegte Band mit seinen zahlreichen, klug gewählten und vielfach farbigen Abbildungen dürfte ein Standardwerk innerhalb des Feldes der Rezeptionsgeschichte der Moderne werden.

Anmerkungen
[1] Paul Klee: Um den Fisch, 1926, Ölfarbe auf schwarzer Leimgrundierung auf Nesseltuch auf Karton / originale gefasste Rahmenleiste, 46,7 x 63,8 cm, Museum of Modern Art (MoMA), New York. Das Bild war im Stadtmuseum Dresden beschlagnahmt und während der Femeausstellung „Entartete Kunst“ in München, Düsseldorf und Salzburg gezeigt worden. Im Beschlagnahme-Inventar (Harry-Fischer-Liste) hatte es die EK-Nummer 15982 erhalten.
[2] Art in Our Time war die Jubiläums-Ausstellung des MoMA zum 10jährigen Bestehen des Museums, die vom 10. Mai bis 30. September 1939 gezeigt wurde.
[3] Langfeld 2011, S. 16.
[4] Ebd., S. 118 f.
[5] Ebd., S. 119.
[6] Ebd., S. 150.

Langfeld, Gregor: Deutsche Kunst in New York. Vermittler - Kunstsammler - Ausstellungsmacher 1904-1957, Dietrich Reimer Verlag 2011
ISBN-13: 978-3-496-01446-1, 232 p., EUR 39,90

Empfohlene Zitation:
Anja Tiedemann: [Rezension zu:] Langfeld, Gregor: Deutsche Kunst in New York. Vermittler - Kunstsammler - Ausstellungsmacher 1904-1957, 2011. In: ArtHist.net, 13.03.2012. Letzter Zugriff 16.05.2024. <https://arthist.net/reviews/2072>.

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